Warum wir anschuldigen

Wenn wir uns aufmachen, mit dem Fehler anders umzugehen, müssen wir uns mit dem Konzept der psychologischen Sicherheit auseinandersetzen. Dabei geht es als Führungskraft darum, ein angstfreies Umfeld zu schaffen. Der gösste Stolperstein bei diesem Vorhaben ist der Umgang mit der Anschuldigung.

Die Anschuldigung ist der wohl problematischste Übeltäter in einer Sicherheitskultur. Sie tangiert den Kern der Fehlerkultur, weil sie das Vertrauen untergräbt. Somit lohnt es sich dazu, ein paar Gedanken zu machen. In diesem und in den nächsten Blogartikeln werde ich auf einzelne Aspekte eingehen, ohne den Anspruch zu haben, das Thema ganzheitlich anzugehen. Vielmehr soll die hier geführte Auseinandersetzung all jenen Gedankenanstösse und Impulse geben, die sich aufgemacht haben, das hehre Ziel einer angstfreien Kultur in die Tat umzusetzen.

Psychologische Sicherheit

Sie ist das Mittel dazu. Sie ist eines der aktuell heiss diskutierten Leadership-Themen. Die damit verbundenen Vorteile werden uns schon fast aufdringlich mit vielen gut gemeinten Appellen schmackhaft gemacht. Der Aufruf ist unmissverständlich: Macht mal vorwärts!» Doch warum hapert es mit der Umsetzung? Appelle helfen uns nicht, der Sache gerecht zu werden. Viel hilfreicher ist es zu wissen, was mit uns geschieht, wenn wir mit einem Fehler konfrontiert werden. Wenn wir eine Vorstellung davon haben, was uns unser Kopf als Idee, Vorstellung oder Handlungsanweisung präsentiert, wenn andere unsere Erwartungen, die wir an sie haben, nicht erfüllen.

Führungskräfte, die sich ihren Werten stark verpflichtet fühlen, sind besonders anfällig

Lassen Sie mich in diesem Beitrag mit einem Bezug zum letzten Blogartikel beginnen. Dort bin ich auf den Umstand eingegangen, dass wir nicht alle gleich reagieren, wenn wir gestresst unterwegs sind. Als Führungskraft mit einem Fehler konfrontiert zu werden, der sich im eigenen Verantwortungsbereich negativ auswirkt, ist mit Stress verbunden. Je nach der Neigung, die in unserer Persönlichkeitsarchitektur angelegt ist, fällt die Reaktion unterschiedlich aus.

Der Fehler ist für all jene eine besondere Herausforderung, die sich ihren persönlichen Wertvorstellungen besonders verpflichtet fühlen. Das sind Führungskräfte, die einen hohen Anspruch an die Qualität ihrer Arbeit haben, die sich engagieren und denen verantwortungsbewusstes Handeln ganz wichtig ist. Es verwundert nicht, dass es sich dabei um Tugenden handelt, die bei Führungskräften häufig anzutreffen sind. Ein Fehler hat in dieser mentalen Prädisposition keinen Platz, weil er dem impliziten Anspruch dieser Vorgesetzten an die anderen nicht genügt. Er verlangt von den anderen, dass sie für die Führungskraft perfekt sind.

Ein Anspruch, der mental so verankerter ist, führt dazu, dass Vorgesetzte, unbemerkt und ungewollt die wertschätzende Position zur fehlbaren Person verlassen. Sie erheben sich über sie indem sie für sie nur noch bedingt oder gar nicht mehr okay ist. Die Anschuldigung ist dann der Ausdruck dieser individuellen, abwertenden Haltung. Der Beziehungsschaden ist angerichtet, bevor eine sachliche Einordnung der Umstände auch nur den Hauch einer Chance gehabt hat.

Wer sich seinen eigenen Werten gegenüber verpflichtet hat, ist besonders anfällig für unreflektierte Anschuldigungen. Diese Führungskräfte haben es persönlich nicht leicht die Führungsrolle in einer Organisation zu übernehmen, die die psychologische Sicherheit wertschätzt und den Fehler als Lernchance, ja als Motor einer gewinnbringenden Weiterentwicklung versteht. Für Führungskräfte mit einer solchen Neigung wird jeder Fehler zur happigen Trainingseinheit in Sachen Selbstkontrolle.

Eine breitere Betrachtung hilft

Was in diesem Prozess bisher völlig aussen vor gelassen wurde ist die Frage, ob die Anschuldigung sachlich denn überhaupt gerechtfertigt ist. Die Sache war ja noch gar kein Thema. Nur der Mensch war ein Thema. Es wurde eine Beziehung ramponiert, ohne zu wissen, ob es denn überhaupt einen Grund dafür gibt. Schade, dann damit wurde viel Vertrauen zerstört. Möglicherweise für nichts.

Das Ganze läuft so schnell ab, dass die Zeit fehlte, um der Frage nachzugehen, was denn die Gründe für das unbeabsichtigte Resultat (sprich Fehler) sein könnten. (Wir gehen stets davon aus, dass weder Absicht noch grobe Fahrlässigkeit im Spiel sind. Denn Fehler dieser Kategorie müssen mit anderen Handschuhen angefasst werden). Offen und damit unbeantwortet sind die Fragen nach den systemischen Einflüssen, den mitverursachenden Faktoren.

Seitdem wir wissen, dass es in komplexen Arbeitssituationen zu ungewollten Outcomes kommen kann, obwohl alle alles richtig gemacht haben, ist die Reaktion, den anderen anzuschuldigen völlig unverständlich. Sie wird der Sache nicht gerecht und ist unredlich, weil sie den ganzen Kontext in welchem es zur fehlbaren Handlung gekommen ist, ausblendet. Und trotzdem passiert es immer wieder vor. Nur weil das Bekanntwerden eines Fehlers bei Führungskräften mit der erwähnten Neigung einen Trigger für einen mentalen Prozess auslöst, der in der Führungskraft selbst stattfindet und der mit der Sache rein gar nichts zu tun hat.

Kennen Sie Ihre Exposition?

Bestimmt haben einige Leserinnen und Leser mit dieser Problemstellung als Führungskraft schon Bekanntschaft gemacht. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten und vor allem ihre persönliche Exposition in dieser Sache genauer kennenlernen möchten, dann lässt sich das mit einem Persönlichkeitsprofil von PCM (Process Communication Model) angehen. Kontaktieren sie mich, wenn sie Lust und Zeit dafür haben.