Fehler managen - Teil 3: Die Beziehung zur fehlbaren Person

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass Sie ganz unterschiedlich auf Fehler die andere machen, reagieren? Es geht um Fehler, deren Konsequenzen Sie zu spüren bekommen. Es sind unzählige exogene Faktoren, die unsere Reaktion beeinflussen. Gut zu wissen, dass es auch Einflüsse gibt, die wir proaktiv managen können.

Stellen Sie sich vor, sie sind in einer dem Stereotyp entlehnten Mittelstandsfamilie mit Eigenheim und neu beschafftem Mittelklassewagen die Familienmutter oder der Familienvater. Sie kommen am Samstag als erstes Familienmitglied morgens vom Schlafzimmer in die Küche und finden diese Notiz des achtzehnjährigen Sohns auf dem Küchentisch. Was geht ihnen dabei durch den Kopf? Es ist selbstredend, dass es ganz unterschiedliche Dinge sind, die da aufpoppen. Es muss ja nicht gleich die philosophische Frage sein, die Sie zu beschäftigen beginnt und für deren Beantwortung Sie zuerst einen Kaffee zu sich nehmen müssen, was Ihnen mehr am Herz liegt, der Sohn oder der neu angeschaffte Wagen.

Lassen Sie uns dieselbe Situation in einem etwas geänderten Kontext noch einmal durchspielen. Diesmal sind Sie die erste Person in der Familie, die den Wagen am Samstagmorgen für den Einkauf benützen will. Sie finden die Post-It-Nachricht auf der Windschutzscheibe. Geschrieben von ihrer unliebsamen Nachbarin. Unliebsam, weil Sie seit Jahren mit ihr im Streit sind wegen der ungepflegten Bäume, die auf Ihre Seite des Gartens hinüberwuchern und für Laub und Schatten sogen. Und weil die Nachbarin die ärgerliche Angewohnheit hat, an Wochenenden grosse Partys im Garten zu schmeissen bei offenem, rauchigem Feuer und lauter Musik. Sie hat Ihrem neuen Wagen beim Einparken mit ihrem schon lange schrottreifen Fahrzeug denselben Kratzer zugeführt, wie im ersten Beispiel, das ihr Sohn bewerkstelligt hat. Was geht Ihnen nun durch den Kopf?

Lassen Sie sich ein wenig Zeit bevor Sie weiterlesen. Versuchen Sie sich in die Situation einzudenken und spielen sie kurz mit den Gedanken, die jetzt kommen.

Warum ist unsere Reaktion so verschieden?

Die Antwort liegt für den ersten innerfamiliären Fall bestimmt auf der Hand. Weil wir i. d. R. eine enge, wohlwollende Beziehung zu unseren Kindern haben. Sie hilft uns, empathischer zu sein. Es fällt uns nicht schwer, uns in die Situation des Sohns hineinzuversetzen. Das gibt uns die Möglichkeit verzeihen zu können. (Eine Fähigkeit, die gutes Fehlermanagement von Führungskräften immer wieder abverlangt). Die Beziehung ist geprägt von Vertrauen, denn wir wollen unsere Kinder nicht verletzten und wir verfolgen stets gute Absichten. Das haben wir in unzähligen Situationen bewiesen und unser Nachwuchs weiss das und vertraut uns deshalb.

Hinzu kommt, dass wir zum anderen den Kontext, in welchem der Vorfall sich ereignete, besser verstehen. Der Sohn handelte bestimmt nicht mit Absicht und seinen Führerschein hat er erst seit ein paar Monaten. Es war Nacht, als es sich ereignete. Und last but not least waren wir auch einmal jung. Diese wichtigen Informationen sind entscheidend für unsere Reaktion auf das Vorgefallene. Sobald wir in einer guten Beziehung zum anderen sind, fällt es uns viel leichter, den Kontext bei unserer Beurteilung des Vorfalls in Rechnung zu stellen und zu berücksichtigen. Dies, weil wir i. d. R. dank der engeren Beziehung besser in Kenntnis dieser kontextualen Gegebenheiten sind, in denen es zum Ereignis kam. In diesem Fall haben wir besonders viele Informationen vom Kontext, weil wir auf unsere eigene Erfahrung zurückgreifen können. Wir wissen, wie es ist, wen man mit wenig Fahrpraxis nachts einen Wagen einparken muss. Es hilft uns, nicht unreflektierte Vorwürfe zu machen, sondern die Dinge faktisch und weniger emotional zu sehen.

Was heisst das für unseren Alltag als Führungskräfte?

Wenn wir diese Erkenntnis in den Berufsalltag übertragen, ergibt sich ein unzweideutiger Auftrag. Natürlich geht es nicht darum im Job zu allen Mitarbeitenden, Schnittstellen und Partnern eine Vater-Tochter-, oder Mutter-Sohn-Beziehung herzustellen und zu pflegen. Vielmehr macht es Sinn, sich um das Arbeitsumfeld der Mitwirkenden und für die Probleme, mit denen sie bei der Leistungserbringung zu kämpfen haben, zu interessieren. Und es macht Sinn, eine Vorstellung davon zu haben, wie es ihnen als Menschen geht. Letztlich geht es darum, sich innerlich auf das Gemeinsame und nicht auf das Trennende einzustellen. Sich für die anderen zu interessieren, wird so zur vornehmen Führungsaufgabe. Das hat nichts zu tun mit einer empathischen Überanpassung, die zum Ziel hat keine Konflikte entstehen zu lassen. Es schafft vielmehr die Voraussetzung für einen holistischen Blick auf die Geschehnisse.

Es ist also schon viel gewonnen, wenn es uns auffällt, dass wir gerade wieder einmal alten Stereotypen auf den Leim gehen und uns dabei erwischen, wie wir beispielsweise die überall bekannte Unfähigkeit der IT-Abteilung brandmarken. Wie wir die üblichen Verdächtigen in der Organisation verunglimpfen, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie sich die Probleme für diese Fachspezialisten real manifestieren. Hier ist insbesondere von Führungskräfte Selbstdisziplin gefragt. Wenn wir schon wissen, dass der Mensch fehlbar ist, warum sollte das nur für uns zutreffen und nicht auch für die anderen? Dieser Mindset ist die beste Voraussetzung, dass sich Vertrauen einstellt.

Die Dinge so sehen, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben

Ein solches Vorgehen macht uns den Blick frei für das, was sich wirklich zugetragen hat. Es erlaubt dem disziplinierten Selfmanager gar das zu sehen, für das er mitverantwortlich ist. So gelingt es dem anfangs erwähnten Familienvater beim Lesen der Nachricht auf dem Küchentisch, sich daran zu erinnern, dass er ja schon lange den Wagen wegen der defekten Rückfahrkamera in die Reparatur hätte geben müssen …