Die Pistenverlängerungen – Lichtblick für die Sicherheit

Am 3. März 24 stimmt die Bevölkerung des Kantons Zürich über die Pistenverlängerungen ab. Damit wird sie aufgefordert, Verantwortung für die Sicherheit des Flughafens zu übernehmen. Als Schweizerinnen und Schweizer sind wir in unserer direkten Demokratie gewohnt, mit unseren Stimmzetteln Weichen zu stellen. Wir wissen auch, dass jede Wahl mit Konsequenzen verbunden ist, die wir bereit sind zu tragen. Bevor wir diesmal ein Ja oder Nein auf den Stimmzettel schreiben, sind wir gut beraten, wenn wir uns fragen, ob wir damit leben können, wenn sich künftig ein Flugunfall am Flughafen Zürich ereignet und der Unfallbericht der Behörden als mitverursachenden Grund die Komplexität des Flughafens Zürich aufführt.

Der Hauptgrund und Auslöser für die Pistenverlängerungen sind die 2012 in einer Sicherheitsprüfung dargelegten grossen acht Risiken. Es sind diese Risiken, mit denen die Fluglotsen, Piloten und das ganze Betriebspersonal am Flughafen Zürich tagtäglich zu kämpfen haben. Sie müssen sich in einem System bewegen, das sich weit weg vom Zustand einer systemisch verankerten Sicherheit befindet. Die ‘Fallen’ sind an acht Stellen tagtäglich gestellt und müssen von Menschen mit ihrer Fehlbarkeit aktiv umgangen werden. Das Unangenehme an den Tätigkeiten in der Luftfahrt ist der Umstand, dass die Akteure innert Sekunden in eine Situation geraten können, die sie überfordert. Wer sich davon ein Bild machen möchte, dem empfehle ich die Lektüre der SUST-Berichte der Vorfälle der letzten Jahre am Flughafen Zürich. Einige waren so gravierend, dass sich sogar der Staat einmischte und es zu Verurteilungen von Fluglotsen kam. Wie wenn damit das System Flughafen sicherer gemacht würde. Es braucht schon Mut, wenn man sich in einem so komplexen System auf die Unfehlbarkeit der Akteure stützt. Verfolgt man die Diskussionen um das selbstfahrende Auto, wir einem klar, dass hier ganz andere Ansprüche an die systemische Sicherheit gestellt werden. Hätten wir die Möglichkeit, mit unserer Stimme dafür zu sorgen, dass nur ein System zugelassen wird, welches die Fehlbarkeit der Fahrerinnen und Fahrer sicher eingrenzt, wäre die Wahl zwischen Ja und Nein schnell gefällt.

Die Gefahr der Komplexität

Doch davon ist der Flughafen Zürich weit entfernt. So lautet der erste der acht Top-Hazards in der erwähnten Sicherheitsüberprüfung: «Reduced margin of error due to high operational complexity». Was nichts anderes heisst, als dass die Fehlertoleranz für die Akteure gering ist und nicht der Norm entspricht. Macht sich heute wirklich noch jemand vor, dass ein solch schmaler Puffer bis zum Unfall von tausenden Menschen im Cockpit und an der Radarkonsole an 365 Tagen im Jahr bei allen Wetterlagen über Jahrzehnte hinweg nie in Anspruch genommen werden muss? Nur schon der erste Top-Hazard ist Grund genug, ins Handeln zu kommen. Wer sich die anderen sieben noch zutraut, braucht starke Nerven.

Dies gesagt, erstaunt es mich immer wieder, wie Volksvertreterinnen und Vertreter mit Inbrunst verkünden, dass der Flughafen Zürich sicher sei. Wie bringt man es fertig, die beiden schweren Unfälle mit vielen Toten in den Zweitausender Jahren ohne Scham zu verdrängen? Ich bin mir fast sicher, dass es ihnen beim Einsteigen in ein Flugzeug mulmig wird, wenn sie sich zuvor die acht Top-Hazards am Flughafen Zürich zu Gemüte geführt haben.

Was bedeutet ‘Sicherheit’?

Die Abwesenheit von Unfällen in der unmittelbar zurückliegenden Zeit bedeutet nicht Sicherheit. Sicherheit ist kein Zustand. Falls er das wäre, wäre er mit dem, Zustand von zwei aufeinanderliegenden Kugeln vergleichbar. Ohne dass wir sie kontinuierlich mit stützenden Einflüssen stabilisieren, würde die obere herunterfallen. Sicherheit kann als ein laufender Prozess der Risiko-Mitigation definiert werden. Wir können nie sagen, dass etwas sicher ist. Wir können nur sagen, ob das, was wir tun, die Sicherheit positiv oder negativ beeinflusst.

Verantwortung für die Sicherheit übernehmen

Wir erhalten mit dieser Abstimmung wahrscheinlich nur einmal im Leben eine Gelegenheit, Verantwortung für die Sicherheit am Flughafen Zürich zu übernehmen. Denn Ausbauten an der Infrastruktur sind aufwendige Geschäfte und die Bewilligungsverfahren erstrecken sich auf viele Jahre. Wir haben es mit einem enorm trägen System zu tun, welches jede Agilität vermissen lässt, die für die Aufrechterhaltung der Sicherheit eines derart komplexen Gefüges von Nöten wäre. Arbeit am System war noch nie leicht. Sie wird aber zunehmend bedeutungsvoll, denn wir Menschen haben es geschafft, soziotechnische Systeme aufzubauen, die wir nur nurmehr mit grosser Mühe verstehen, geschweige denn wirklich kontrollieren können. Diesbezüglich sind die Pistenverlängerungen ein Lichtblick und eine Chance zugleich.

Natürlich können sie mit Gottvertrauen am 3. März die Pistenverlängerungen ablehnen. Doch das wird sie nicht davor bewahrten, die Mitverantwortung für künftige Unfälle am Flughafen Zürich zu übernehmen.