Von toxischen Betriebskulturen

Und wieder erfahren wir in der Presse von unternehmerischem Versagen. Diesmal im Finanzsektor, wo einer Schweizer Bank zweifelhafte Geschäfte teuer zu stehen kommen. Vom mangelnden Umgang mit Risiken ist die Rede und von einer schädlichen Kultur, die den Profit über die Sicherheit stellt. Auch dieser Fall zeigt, dass ein Risikomanagement, welches nicht mit einer Sicherheitskultur unterlegt ist, völlig nutzlos ist.

Als interessierter Leser der Tagespresse werde ich aktuell ausführlich über die unschönen Auswüchse einer toxischen Betriebskultur informiert. Der neuste Fall dreht sich um das systemische Versagen eines renommierten Schweizer Bankinstituts, welches unlängst bei Geschäften mit Greenshill und Archegos unanständige Abschreiber hinnehmen musste. Selbstredend hat diese Angelegenheit das Potenzial, mein Vorurteil über die Finanzbranche und ihre Akteure negativ zu beeinflussen. Dabei ist mir klar, dass ich mit einem solchen Urteil vielen engagierten Individuen, ja ganzen Firmen in dieser Branche nicht gerecht werde. Als toxisch würde ich in diesem Zusammenhang eine Kultur bezeichnen, die Risiken geringschätzt, um damit im Glücksfall viel zu verdienen. Eine so ausgerichtete Kultur ist gut abgesichert. Denn im Pechfall gibt es Führungskräfte in unteren Rängen, denen man die Verantwortung für den eingetretenen Schaden zuschieben kann. Und wie wir wissen, ist es ungleich viel schwieriger, jene zur Rechenschaft zu ziehen, die es unterlassen, einer solchen Kultur den Garaus zu machen. Dies, obwohl man in der Führung für Nichthandeln und für systemische Unzulänglichkeiten ebenfalls die Verantwortung trägt. Wie auch immer. Es sind mächtige Schutzmechanismen im Spiel, die in hierarchisch geführten Organisationen mit starken Machtgefällen weit verbreitet sind. Das Motto: «Always have somebody between you and the problem”. So lässt sich die eigene Unantastbarkeit organisieren. Der Schaden wird im Unternehmen verallgemeinert. Der zweite Schutzwall ist insbesondere in Aktiengesellschaften, die diversifizierte Eigentumsstruktur, die das Aufbegehren der Eigner zuverlässig lähmt. Im Grundsatz setzt das durch die Vorfälle nun ans Licht gezogene Geschäftsgebaren auf Glück und damit auf Zufall. Es handelt sich im eigentlichen Sinne um eine Casinomentalität.

Ohne passende Kultur ist das Risikomanagement wirkungslos

Eine so gestaltete Kultur hat mit Risikomanagement nichts zu tun. Die Disziplin wird zwar geführt, doch letztlich hat sie nur eine Feigenblattfunktion. Ihr Ursprung, nämlich die Risiken unter organisatorische Kontrolle zu bringen, muss in einer Casinokultur als Mittel zur Chancenminimierung verstanden werden. Diese zugegebenermassen pointierte Darstellung macht hingegen deutlich, dass Risiken nicht allein mit Werkzeugen wie Riskmanagement oder Sicherheitsmanagementsytemen unter Kontrolle gebracht werden können. Es braucht eine Sicherheitskultur. Die Risk-Manger und ihre Systeme können so gut sein, wie sie wollen, wenn die Kultur andere Anreize setzt, werden sie zu einem zahnlosen Gespann im Backoffice.

Was wäre, wenn statt Geld Menschenleben auf dem Spiel stünden?

Ein Blick in die Hochrisikobranchen zeigt, dass beispielsweise eine Fluggesellschaft, die Abermillionen von Passieren einen risikobehafteten Transport anbietet, anders zu Werke gehen muss. Wie andere Risikobranchen ist auch die Luftfahrt stark reguliert. Es ist dies ein Umstand, der nicht zuletzt ihrer zweifelhaften Performance in den Entstehungsjahren geschuldet ist. Regulation folgt, wie heute auch die Finanzbranche weiss, den Verfehlungen auf dem Fuss. Meine waghalsigen Vorgänger im Fluggeschäft setzten bei der Konstruktion der Flugapparate und bei deren Betrieb allzu oft auf Zufall und damit auf Glück. Heute hat die Branche bewiesen, dass sie sich sicherheitstechnisch emanzipiert hat. 2019 kamen beim Transport von etwas mehr als 4 Milliarden Passagieren nur 283 Menschen bei Flugzeugabstürzen ums Leben.

So stellt sich die Frage, ob Banker von der Aviatik lernen könnten, wenn es um das Handhaben von Risiken geht. Der Ansatz mag etwas Anmassendes an sich haben. Denn so wie sich die Finanzbranche heute präsentiert, müssen wir davon ausgehen, dass sie sich noch in einer Entwicklungsphase befindet, in der er üblich ist, dass man dem Heldentum frönt. Das könnte es einzelnen schwer machen, sich in die Niederungen des operativen, risikobehafteten Geschäfts zu begeben. Denn die Anerkennung, die dem Helden zukommt, gründet ja auf seiner Bereitschaft, hohe Risiken einzugehen. Was unangenehm veranschaulicht, wie hol der Sockel ist, auf dem er steht. Vielleicht gelingt es mit dem Hinweis, dass auch die Helden der Aviatik vom hohen Ross gestiegen sind. So sind die ehemaligen Könige der Lüfte heute die kühl berechnenden Risiko- und Systemmanager im Kapitänsrang, eingebettet in geschliffene industrielle Prozesse. Sie alle sorgen tagtäglich für den Schutz ihrer Assets – den Passagieren – und streben obendrauf mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den unternehmerischen (auch monetären) Erfolg an.

Kulturwandel als zwingendes Element für Fortschritt

Die Kapitäne wären heute keine so verlässlichen Führungskräfte, wäre die Transition vom früheren Helden zum System- und Risikomanager nicht mit einem Kulturwandel in der Organisation begleitet gewesen. Der Abstieg vom Sockel hat gut und gerne zwanzig Jahre gedauert. Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren Unfälle, die man nicht mehr bereit war hinzunehmen. In der Analyse der Ereignisse zeigte sich oftmals, dass die Helden der Lüfte nicht so gut waren, wie sie vorgaben. Konfrontiert mit den fundierten Unfallanalysen, welche in penetranter Konstanz als mitverursachenden Faktor die menschliche Unzulänglichkeit auch jene der Chefs im Cockpit ans Licht brachte, führte zu einem Umdenken. So wurde in den Achtzigerjahren der Boden für den dringend benötigten Kulturwandel gelegt.

Ein neues Führungsverständnis hielt Einzug und veränderte schlicht alles Bisherige. Das Rollenverständnis der Führungskraft, die Vorstellung von Zusammenarbeit, der Umgang mit Risiken und die Bedeutung von Hierarchie. Insbesondere Letztere wurde völlig neu konzipiert. Ihr wurde das Machtgefälle genommen und damit die Plattform für die Pflege von Allüren. Denn es hatte sich gezeigt, dass es in risikobehafteten Umfeldern nicht sehr hilfreich ist, eine Kultur der hierarchischen Unterordnung zu haben. Eine, die bei den Mitarbeitenden mit Angst einhergeht und die jeden Rückgriff des Chefs auf Ressourcen im Team als Eingeständnis einer persönlichen Unzulänglichkeit interpretiert. Zu gross war zudem die Verlockung, Macht für eigene Zwecke zu missbrauchen und sei es nur, um den eigenen Status zu pflegen. Hierarchie mit Machtgefälle ist eine gefährliche Rahmenbedingung. Dessen sind sich die Mediziner gleichermassen bewusst. Hemmend ist leider auch da nur der Umstand, dass sich die Betroffenen fragen, warum sie etwas verstehen sollten, das ihnen zum Nachteil gereicht.

Unzählige völlig unnötige Unfälle, die mit unendlich viel Leid verbunden waren, haben uns in der Luftfahrt gelernt, dass wir uns selbst regulieren mussten. Mitarbeiter und Führungskräfte wurden in eine andere Kultur eingebettet. Es gibt Studien, die belegen, dass, wenn wir dies ab den Achtzigerjahren nicht gemacht hätten, wir heute jeden Tag zwei bis drei Crashs von Verkehrsmaschinen hinnehmen müssten.

Die Kultur als wirkungsvoller Schutz vor Ungemach

In besagtem Wandel haben wir uns in der Aviatik nicht nur mit der Weiterentwicklung der Sicherheitsmanagementsysteme, sondern auch mit den Rahmenbedingungen für eine auf Sicherheit ausgerichtete Kultur befasst. Sie ist geprägt vom angstfreien Speak-up, im Cockpit wie in der Firma. Geprägt von ihrer Teamorientierung, die verbunden ist mit der Wertschätzung der Beiträge aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Geprägt von der Bereitschaft, über organisatorische Unzulänglichkeiten und von selbst mitverursachten unerwünschten Ereignissen zu berichten, weil Fehler als Lernchance verstanden werden. Von der demütigen Anerkennung der menschlichen Fehlbarkeit. Es ist eine Kultur, in der die Führungskräfte bei nicht beabsichtigten Vorfällen die Verantwortung nicht einfach der involvierten Person zuschieben. Sie handeln im Sinne einer ‘shared responsability’ und kümmern sich um die mitverursachenden systemischen Faktoren, welche auch Mängel in der Kultur umfassen können und setzen sich für die Systemverbesserung ein.

Eine solche Kultur trägt dazu bei, dass sich anbahnende Ungemach besser erkannt und das Risiko am Eintreten gehindert wird. Sie überlässt den Erfolg des Unternehmens nicht dem Zufall, sondern sorgt dafür, dass gefährliche Sololäufe von Führungskräften als Kulturverstoss gelten. Es ist eine Kultur, die die Organisation vor Schäden und Skandalen bewahrt, weil sie die interne Transparenz fördert. Sie ist das notwendige Add-on zum Risikomanagement. Erst durch sie kann es seine Stärken ins Spiel bringen. Wird sie von einer Firma gepflegt, kann man ihr ruhig das eigene Geld anvertrauen.