Reicht eine Safety Management System, um sicher zu sein?

Ein State of the Art Sicherheitsmanagement ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Disziplinen. Es würde viel zu kurz greifen, wenn wir glauben, dass wir die Risiken der High Reliability Organisation mit Führungssystemen gewährleisten könnten.

Im letzten Blog habe ich über die Bedeutung der Safety Management Systeme in High Reliability Organizations gesprochen. Wenn sie fehlen oder schlecht etabliert sind, können grosse Systemversagen nicht wirklich verhindert werden. Die Verfehlungen von Boeing bei der 737 MAX sind unrühmliche Anschauungsbeispiele. Bei der umfassenden Frage, was es braucht, um unsere modernen soziotechnischen Systeme zuverlässig und sicher zu machen, dürfen wir uns aber nicht nur auf die Managementsysteme konzentrieren. Das wäre zu einfach. Vielmehr gilt es, das optimale Zusammenwirken verschiedener Disziplinen im Auge zu behalten. Nebst den klassischen Safety Management Systemen sind dies die Sicherheitskultur, die Arbeit der Führungskräfte, das individuelle Verhalten der Mitarbeitenden und die Compliance. In diesem Blog werde ich näher auf den Zusammenhang von Safety Management System und Sicherheitskultur eingehen.

Das Safety Management System ist das Pflichtprogramm

In der Luftfahrt haben sich über viele Jahre aus den ursprünglichen ‘Accident Prevention Programmes’ die ‘Safety Management Systeme’ (SMS) entwickelt. Es ist noch nicht allzu lange her, da erinnerten Delegierte für Sicherheit die Mitarbeitenden an die im Betrieb lauernden Gefahren. Mit Plakat-Kampagnen wurde Aufmerksamkeit geweckt, interne Sicherheitsweisungen konstruierten den Compliance-Rahmen. Das Credo dieser Programme: «Wenn du dich an die Regeln hälts und wenn du dir Mühe gibst, dann kann nichts schiefgehen». Viele schwere Unfälle später und nach Systemversagen mit heftigen Konsequenzen für Mensch und Umwelt wissen wir, dass dieses Credo deutlich zu kurz greift. Sicherheit und Zuverlässigkeit mussten anders gedacht werden. So sind in einem jahrelangen Prozess die modernen Safety Management Systeme in der Luftfahrt entstanden. Seit 2009 sind sie für Airlines vom Regulator vorgeschrieben. Ein Blick auf die Unfallstatistik zeigt, dass sie ihre Wirkung erbringen. In den letzten Jahren hat sich der Weltluftverkehr mit zweistelligen Wachstumsraten entwickelt. Die Unfallzahlen konnten dies zum Trotz über die Jahre kontinuierlich gesenkt werden. Es war nicht der Mangel an Wissen, die ihre Entwicklung und Einführung ursprünglich hemmte. Vielmehr mussten sie zuerst als integrierte Führungssysteme Akzeptanz erlangen. Es war ein emanzipatorischer Kraftakt, der das Thema Sicherheit aus dem Schattendasein befreite und ihm die Aufmerksamkeit des Managements zukommen liess, welches es aufgrund der geschäftsbedingten Risikoexposition auch verdient. Diese Systeme sind ein nicht wegzudenkendes Instrument der Governance von Unternehmen geworden, die im Hochrisikoumfeld tätig sind und die Ansprüche an die Qualität ihre Leistungserbringung haben. Safety Management wird heute als Führungsaufgabe verstanden. Wohl zu Recht, denn mit einem ganzheitlich integrierten System kann das Risiko ‘gesteuert’ und proaktiv unter organisatorischer Kontrolle gehalten werden. Das in der Luftfahrt entwickelte Safety Management System besteht im Kern aus einem Risikomanagement, welches demjenigen der ISO Norm 31000 ähnlich ist. Es umfasst aber zusätzliche Aspekte wie beispielsweise die Sicherheitsausbildung und es nimmt sich im Besonderen den Gefahren der Veränderungen an. Ein gut etabliertes SMS erlaubt es, die Risiken nicht nur reaktiv, sondern proaktiv und vorausschauend managen zu können. Doch ist und bleibt es ein Werkzeug in den Händen des Topmanagements, welches für sich allein nicht ausreicht, um die Sicherheit adäquat zu gewährleisten. So ist es unter anderem auf Verhaltensweisen der Mitarbeitenden angewiesen, die u. a. auch bereit sind, eigene Arbeitsfehler zu melden. Sie werden dies aber nur tun, wenn sie in einer Unternehmenskultur aufgehoben sind, die psychologische Sicherheit garantiert.

Die Sicherheitskultur ist die Kür

Es wäre falsch, die Sicherheitskultur als etwas anzusehen, was zwar gut, nicht aber wirklich entscheidend ist. Ganz nach dem Motto, dass mit Softpower harte Sicherheitsprobleme nicht gelöst werden können. Je mehr wir über das Handhaben der Risiken lernen, umso besser verstehen wir die Bedeutung der Sicherheitskultur für Unternehmen und Organisationen, für die Zuverlässigkeit und Sicherheit Erfolgsfaktoren oder Auftrag sind. Insidern ist dieser Umstand bestens vertraut. Erkennbar ist er an der zunehmenden Anzahl von Studien, die sich mit Sicherheitskultur befassen und am neu aufgetauchten Wunsch der Aufsichtsbehörden, die Sicherheitskultur im Unternehmen künftig auditieren zu wollen. Dieser Wunsch rührt daher, dass die Safety Management Systeme relativ einfach zu überprüfen sind. Ob das bei der Kultur künftig ebenso gut gelingt, bleibt eine offene Frage. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, sämtliche Aspekte einer modernen Sicherheitskultur anzusprechen. Daher möchte ich vorerst nur auf das verbindende Element zum Safety Management System eingehen.

Modernes Sicherheitsmanagement ist Datenmanagement. Das kommt daher, dass wir in Sachen ‘System-Design’ in der High Reliability Organisation bescheiden geworden sind. Wir haben verstanden, dass die Systeme, die wir entwickelt haben, eine Komplexität erreicht haben, die wir nicht mehr ganz zu durchschauen vermögen. Wir anerkennen, dass wir beim Systemdesign unvollkommen sind und haben gelernt, dass die Systeme oftmals nicht so funktionieren, wie sie gemäss Konstruktionsplan verhalten sollten. So mussten wir schmerzlich erfahren, dass es zu Systemversagen kommen kann, obwohl alle alles ‘richtig’ gemacht haben. Das zwingt uns, die Beobachtung der Systeme massgeblich zu verbessern. Wir sind aufgefordert, durch genaues Hinschauen der ‘wirklichen’ Funktionsweise des Systems auf die Spur zu kommen. Dazu müssen wir an unzähligen Stellen in Prozessen und Verfahren Daten erheben, die uns Rückschlüsse auf die Funktionstüchtigkeit geben. Eine besondere Bedeutung kommt den Beobachtungen der Mitarbeitenden und Experten im Unternehmen zu, die tagtäglich mit den Eigenarten des Systems konfrontiert sind. Sie wissen genau, wo Prozesse harzen, wo Schnittstellen nicht funktionieren und wo Hierarchien den Informationsfluss behindern. Auf die Meldungen der Experten und Mitarbeitenden ist ein modernes Sicherheitsmanagement aber ganz besonders angewiesen. Oftmals unterlaufen ihnen unbeabsichtigte Arbeitsfehler, die nicht einfach mit dem vorwurfsgeladenen Appell: «Hättest du dir Mühe gegeben, wäre es nicht passiert» vom Tisch geräumt werden sollten. Denn solche Fehler fördern wertvolle systemische Aspekte ans Tageslicht. Aspekte, die für das Management der Sicherheit von grosser Bedeutung sind. Doch wenn ich mich als Mitarbeiter mit der Meldung eines Arbeitsfehlers der Gefahr aussetze, mit dem oben zitieren unangebrachten Vorwurf konfrontiert zu werden, unterlasse ich diese vernünftigerweise. Wenn es den Führungskräften im Unternehmen nicht gelingt, eine auf Vertrauen basierte Kultur zu etablieren und zu leben, kann die Organisation schlecht lernen.

Fazit

Will ein Safety Management System seine ganze Wirkung entfalten und nicht als Pflichtübung verstanden und gehandhabt werden, muss es durch eine bewusst gepflegte, auf Vertrauen basierte Sicherheitskultur ergänzt und unterstützt werden. Sinnigerweise wird das Safety Management System von Sicherheitsexperten aufgebaut und betrieben, wohingegen die Kultur voll und ganz in der Verantwortung des Linienmanagements liegt. So angenehm das Delegieren der Sicherheitsaspekte für Executives auch wäre, so unwirksam würden sie ohne den Kulturbeitrag der Führungsmannschaft bewirtschaftet. Es ist dieser Zusammenhang, der in der High Reliability Organisation zur Emanzipation des Sicherheitsmanagements beigetragen hat und dieses zum integralen Bestandteil des Management Systems gemacht hat.