Verurteilt wurde der Pilot wegen fahrlässigen Missbrauchs und Verschleuderung von Material. Von den anderen Anklagepunkten sah das Gericht ab. Für die Luftfahrt und letztlich für alle anderen Hochrisiko-Organisationen in der Schweiz aber ist der Umstand von Bedeutung, dass das Gericht bei diesem Vorfall ein schuldhaftes Verhalten geltend macht. Dies auch wenn der vorliegende Schuldspruch von einem Militärgericht stammt. Denn das Urteil reiht sich in die unerfreulichen Entscheide diverser ziviler Gerichte (bis hin zum Bundesgericht) ein, welche Fluglotsen für Fehlverhalten bestraften, welche weder vorsätzlich noch grobfahrlässig waren. Auch im vorliegenden Fall ist nichts von Grobfahrlässigkeit oder Vorsatz im Spiel. Damit offenbart uns auch dieses Urteil, dass die Schweizer Gerichte Mühe bekunden, die Bedeutung des menschlichen Handelns in hochkomplexen Systemen und in äusserst spezifischen Situationen auch nur annähernd zu verstehen und sich auf Gesetze stützen (müssen), die geschrieben wurden als die Welt noch ganz anders aussah.
Wer Fehler macht wird bestraft. Ein Paradigma das Kollateralschäden verursacht.
Die Konsequenzen dieser Schuldsprüche sind für die betroffenen Organisationen erheblich, weil sie einerseits dazu führen, dass die Mitarbeitenden und die Führungskräfte sich jeglicher Exposition entziehen, keine Verantwortung mehr übernehmen und nur noch genau das tun, was man ihnen sagt. An eindrücklich mitreissende Flugvorführungen ist in einer so gestalteten Angstkultur nicht mehr zu denken. Solche Schuldsprüche fördern die unselige Compliance-Orientierung und die Cover-My-Ass-Strategie, die die Selbstverantwortung aus dem Unternehmen treibt und die eine Mannschaft im Untertanen-Modus zurücklässt. Deutschland lässt grüssen. Eine solche Kultur ist für eine Air Force der Anfang des Untergangs. Denn sie muss auf Menschen zählen können, die unter extremen Belastungen die Bereitschaft haben, Entscheide zu fällen, die zielführend sind. Menschen, die nicht bei der kleinsten Unsicherheit den Vorgesetzten um Rat fragen oder in den Büchern des Regelwerks nach Orientierung suchen.
Der doppelbödige Umgang mit Risiken
Und andererseits hinterlassen solche Schuldsprüche wie im vorliegenden Fall einen schalen Nachgeschmack. Denn Display-Fliegerei ist per se eine gefährliche Angelegenheit. Eine aber, die der Staat aus nachvollziehbaren Gründen nicht nur toleriert, sondern unterstützt. Wenn sich dabei ein Vorfall ereignet, wird ein Individuum bestraft und der ganze Kontext und damit auch der öffentliche Wunsch nach Formations-Displays spielt plötzlich keine Rolle mehr. Das ist eine unanständige Verkürzung. Oder bestrafen Sie ihre Kinder auch, wenn Sie sie ermuntert haben, selbst einen Kuchen zu backen und sie sich dann dabei die Finger am Ofen verbrennen? Am eben gefällten Schuldspruch offenbart sich die Doppelbödigkeit der Gesellschaft im Umgang mit Risiken auf exemplarische Weise. Das System hat ein Opfer gefunden, die Spiele aber sollen weitergehen. Ist das noch redlich?
Verantwortung in der Hochrisiko-Organisation
Von wegen Kontext: Im vorliegenden Fall war der angeklagte Pilot der Anciennität-Jüngste im Team. Er wurde von der F/A 18 auf den F-5 geschult, um in der Patrouille Suisse fliegen zu können. Seine Erfahrung auf der ‘Tiger F-5’ war dementsprechend klein. Das Vorführ-Programm sah 2016 für ihn (Nummer drei) und die Nummer zwei, beides Einstiegspositionen im Verband, neu Aufschliessmanöver vor, die früher den Youngstern nicht zugemutet wurden. Das Aufschliessen in einen Verband ist mithin das fliegerisch anspruchsvollste Manöver. Das in einem solchen Kontext auch ein hart gesottener Hornet-Pilot in eine kurzfristige Überforderung kommen kann, darf nicht erstaunen. Und wer diese Vorstellung nicht an sich heranlässt, hat keine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn man mit 500 km/h in einer sinkenden Kurve unter Beschleunigung den Kopf ganz ausgedreht, um Sichtkontakt wahren zu können, sich in die Formation einzugliedern versucht. Wer dann sagt, man habe sich an das Reglement zu halten, welches von einem stets einen Mindestabstand von drei Metern verlangt, der outet sich als realitätsfremder Verwalter und Compliance-Papst. Dieses Unvermögen des Gerichts, sich in die Situation hineinzuversetzen, war im Gerichtssaal bei der Zeugeneinvernahme mit Händen zu greifen. Nicht, dass sich die Richter nicht redlich bemüht hätten, die Situation zu begreifen. Nur, wie erklären sie einem Laien in zehn Minuten eine Disziplin für die Experten mehrere Jahre gebraucht haben, um sie zu erlernen? Es war geradezu grotesk. Und man darf es den Richtern wirklich nicht übel nehmen, dass sie bis am Schluss den Unterschied von der Flugbahn eines Flugzeuges, die von der Horizontalen abweicht, nicht von jener unterscheiden konnten, die von der Ebne des vorausfliegenden Flugzeuges nach oben oder unten abweicht. Aber das System lässt es zu, ja verlangt von ihnen, dass sie trotzdem urteilen. Und sie müssen dabei auf den Mann spielen. Das Strafgesetz will es so. Es versteht die Handlungen eines Menschen stets und immer noch als vom System unberührt, welches den Menschen umgibt. Das ist in einer Zeit, in welcher wir den Menschen in hochkomplexen Systemen tief in die Abläufe der Systeme miteinbeziehen eine nicht mehr entschuldbare Unterlassung. Oder glaubt den jemand noch ein Mensch wäre allein in der Lage, einen 500 Tonnen schweren Verkehrsflieger bei allen denkbaren Wetter- und Umwelteinflüssen selbstständig in Flügen über 4000 Meilen ohne massive Unterstützung von technischen Systemen ans Ziel zu bringen? Und glaubt denn jemand ernsthaft noch, dass diese Systeme auf eine Weise mit dem Piloten interagieren, ohne seine 100% Kontrolle zu kompromittieren? Ist es redlich, einen solchen Menschen ungeachtet der ihn unterstützenden Systeme immer und konsequent voll für das Resultat verantwortlich zu machen? Nein, ist es nicht. Es ist aus einer moralischen Perspektive unhaltbar.
Nachholbedarf beim Strafrecht
Das Strafrecht ist alt, uralt. Das zeigt sich nicht nur an der kategorischen Ausschliessung der systemischen und Resultat mitbeeinflussenden Komponenten, sondern auch in seinen Begrifflichkeiten. Der Pilot wurde im vorliegenden Fall wegen ‘fahrlässigen Missbrauchs und Verschleuderung von Material’ angeklagt. Ich weiss nicht, wie es Ihnen mit diesen Begriffen geht. Für mich haben sie eigentlich keinen Zusammenhang mit dem Vorgefallenen. Ich sehe nicht, inwiefern der Pilot das Flugzeug für andere als Vorführungszwecke genutzt (gebraucht) haben soll und er sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben soll. Auch braucht es in meinem Verständnis, um Material zu verschleudern, eine bösartige Absicht, Material rücksichtslos loszuwerden. Den Vorsatz hatte ihm nicht einmal der Ankläger unterstellt. Dass sich mein Sprachverständnis nicht mit juristischen Begriffen decken muss, leuchtet mir ein. Nur war ich bei Weitem nicht der Einzige im Gerichtsaal, der seine Mühe mit diesen völlig überholten Begriffen hatte.
Es gibt viel zu tun im Strafrecht, so es ein akzeptierter Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben will. Und es gibt viel zu tun bei der Ausbildung von Anklägern und Richtern; nicht nur um der Gerechtigkeit willen, sondern auch um der Sicherheit und der Kampfbereitschaft unserer Air Force willen.