Fehler managen – Teil 2: Der Einzelkämpfer in der Organisation

Es entspricht dem Management-Zeitgeist, den Fehler als Lernchance zu sehen. Warum nur, fragt man sich, fällt es dann so vielen so schwer, diesen hehren Ansatz in die Realität umzusetzen? Dazu gibt es zwei Aspekte, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. In diesem Blog gehe ich auf zwei Hauptverdächtige ein.

Mittlerweile haben viele verstanden, dass es sich lohnt, Fehler als Chance zum Lernen zu sehen. Dabei meine ich mit "Fehler", jene Handlungen, die zu unbeabsichtigten Ergebnissen führen. Die Angelsachsen haben dafür einen treffenden Begriff geschaffen: "Honest Mistake". Viele haben auch verstanden, dass so bald im Zusammenhang mit einem solchen Arbeitsfehler eine Anschuldigung im Spiel ist, die Lernchance vertan ist. Und last but not least, wird zunehmend mehr Führungskräften bewusst, dass, mit welchem 'Fehler' sie auch immer konfrontiert sind, eigene oder solche von anderen, es zwei Lernprozesse gibt. Die persönliche Auseinandersetzung derjenigen Person, der das Malheur zugestossen ist und der organisationale Lernprozess, der sich mit den systemisch beitragenden Faktoren beschäftigt. Für all diese Erkenntnisse gilt: Verstanden heisst noch lange nicht umgesetzt. Zwischen dem Verstehen und dem Anwenden klafft ein grosser Graben. Dies ist zumindest meine Erfahrung aus diversen Kulturprojekten in Firmen und aus langjähriger Selbstbeobachtung. Auf dem Weg zur Anwendung dieser hehren Prinzipien, gibt es erhebliche Hindernisse zu überwinden. Eine dieser Hürden ist im Eigennutzen begründet. Die Auseinandersetzung mit ihr veranschaulicht uns die Bedeutung des persönlichen inneren moralischen Kompasses und der Rahmenbedingungen im Unternehmen, die es braucht, um eine Kultur zu etablieren, die die erwähnten Lernprozesse möglich machen. Einer Kultur, die der Zuverlässigkeit, der Sicherheit, der Resilienz und der Agilität der Organisation dient.

Der einsame Wolf in der Organisation

Sobald wir im Unternehmen von einem Fehler hören, der einer bestimmten Person zugestossen ist, geht von dieser Nachricht eine subtile Verlockung aus. Sie bietet uns die Chance, uns im Verhältnis zum anderen besser aussehen zu lassen. Dazu muss nur in beliebig vielen Gesprächen mit Menschen in der Organisation auf das Ungeschick der betreffenden Person hingewiesen werden. Es reichen feinste Anspielungen. Dickes Auftragen ist nicht nötig, es könnte gar die Absicht erkennen lassen. Das wäre höchst unerwünscht, geht sie doch mit einem moralischen Defizit einher und offenbart unziemlichen Eigennutz.

Dies gesagt, unterstelle ich keiner Leserin und keinem Leser, dass sie derart berechnend unterwegs wären. Weiterlesen lohnt sich daher nicht unbedingt; es ist - wie alles im Leben - eine freie Entscheidung.

Doch wie kann es nur sein, dass der Fehler einer anderen Person Anlass bietet, uns moralisch zweifelhaft zu benehmen? Ich möchte auf zwei Aspekte eingehen, die dafür mitverantwortlich sind:

1. "It's the name of the game, stupid"!

Ganz in Anlehnung an den berühmten Satz des politischen Beraters von Bill Clinton James Carville: "It's the economy, stupid". Mit diesem Slogan hob Carville in Clintons Wahlkampf die Bedeutung der Wirtschaft für das eigene Wahlkampfteam hervor. Die sinngemässe Abwandlung des Ausspruchs weist uns hier auf die Relevanz der vorherrschenden Rahmenbedingungen im Unternehmen hin. Menschen verhalten sich im Kontext eines gegebenen Frameworks stets rational. Wenn dieses in der Firma Einzelleistungen honoriert, sollte sich niemand wundern, wenn danach gelebt wird.

2. Der unredliche Umgang mit der Fehlbarkeit des Menschen

Die Verlockung entsteht, wenn es das Unternehmen kulturell nicht geschafft hat, eine Handlung eines Mitarbeitenden, die zu einem unerwünschten Resultat führt, nicht ausschliesslich und vor allem nicht primär dem Versagen dieser Person zuzuordnen. Sie erwächst allein dort, wo man immer noch der Auffassung ist, der Mensch könne fehlerlos arbeiten. Da, wo nicht nur das Vertrauen in die Mitarbeitenden auf wackeligen Füssen steht, sondern auch die Vorstellung davon, wie es zu ungewollten Ereignissen kommt. Die Ursachen ausschliesslich beim Menschen zu sehen, zeugt von einem krassen Wissensdefizit und von einer Oberflächlichkeit die heutzutage geradezu beschämende Züge annimmt.

Appelle nützen nichts

Wenn wir uns diese zwei Hauptursachen für das "Problem des Einzelkämpfers in der Organisation" vor Augen halten, so macht es wenig Sinn, es mit Appellen an eine moralisch intakte Selbstführung eliminieren zu wollen. Ein Aufruf, sich nicht eigennützig zu benehmen in einem System, dass auf Eigennutz ausgerichtet ist, ist bestenfalls doppelbödiger Zynismus. Ich plädiere für ein anständiges Ansprechen. Wird eine Person höflich darauf aufmerksam gemacht, dass sie gerade daran ist, mit dem Verweis auf Fehler von anderen ihre besonderen Qualitäten als verlässlicher Mensch zu suggerieren, dann verfehlt ein solcher Hinweis seine Wirkung nicht. Es gilt einzig eine kurze Peinlichkeit zu erdulden, die sich nach meiner Erfahrung sehr bald wieder legt.

Commitment

Wenn es mit Appellen nicht geht, so doch mit dem persönlichen Commitment für ein Eigenbild, welches nicht mit den Mängeln der anderen aufgeschönt wird. Ich kann, wenn ich es denn will, konsequent auf solche Maskenschminke verzichten. Persönliche Erfolge, die ohne diesen zweifelhaften Support zustande kommen, fühlen sich obendrauf noch besser an. Das Commitment einzugehen ist übrigens viel einfacher, wenn man sich der eigenen Fehlbarkeit ohne Scheuklappen gewahr wird. Es reicht vollauf, jeden Abend in den Spiegel zu sehen und dabei all das aufzuzählen, was einem an diesem Tag missglückt ist. Wer bei konsequenter Anwendung dieser selbstdisziplinierenden Übung sich plötzlich mit der Frage der eignen Verlässlichkeit konfrontiert sieht, hat einen wichtigen persönlichen Sieg errungen. Eine solche Läuterung stärkt und befähigt uns, den Alltag in einer Vertrauenskultur aktiv mitzugestalten. Es ist eine alte Tatsache, dass eigene Verletzlichkeit uns nahbar macht und Vertrauen schafft.

Fehlermanagement, eine Funktion der Selbstführung

Wenn wir es schaffen, die Fehler der anderen nicht für unsere Zwecke der Selbstoptimierung zu nutzen, so leisten wir einen entscheidenden Beitrag für einen professionellen Umgang mit dem Fehler - ganz generell. Das ist aktives Fehlermanagement. Wir benötigen dazu keine vorteilhaften Rahmenbedingungen, wie sie eine Vertrauenskultur zu geben vermag. Solides Selbstmanagement reicht vollauf, wenngleich es nur für einer Insellösung im eigenen Umfeld reicht.

Rahmenbedingungen, die den Einzelgänger aussterben lassen

Das Problem des einsamen Wolfs kann auch auf der kulturellen Ebene im Unternehmen angepackt werden. Hier gibt es zwei erfolgversprechende Ansätze, die in der Organisationsentwicklung beide parallel in Betrachtung gezogen werden sollten:

  1. Führungsansätze, die aus anderen Gründen entstandene sind, können Abhilfe schaffen: "Unboss the company", "Teamorientierung", «Agile Organisation» und viele andere mehr. Sie alle entschlacken die Organisation und säubern sie von Korrosionsschäden die durch starke Machtstrukturen, Hybris und Silodenken entstanden sind.
  2. Aufklärung und Wissensvermittlung. Hier geht es darum, allen auf geeignete Art und Weise aufzuzeigen, wie ungewollte Ereignisse (im Volksmund Fehler gescholten) zustande kommen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns insbesondere in stark durch wechselseitige Abhängigkeiten geprägten Arbeitsumfeldern vom völlig überholten Narrativ lösen, welches dem Menschen am scharfen Ende die volle und alleinige Verantwortung für sein Handeln zuweist. Diese Auffassung blendet in hochkomplexen Organisationen auf nicht mehr erklärbare Weise all die mitverursachenden, systemischen Aspekte aus, die zu einem Ereignis führen. Sie trivialisiert unangemessen und sie hilft uns vor allem nicht besser zu werden, Fortschritte zu machen und die Systeme verstehen zu lernen, die wir gebaut haben aber die wir nicht mehr wirklich kontrollieren können.

Wir können in der Entwicklung des Unternehmens auf diesen Pfad einschwenken, in dem wir es unterlassen, unerwünscht eingetretene Ereignisse, die Honest Mistakes, einfach einer Person wie Judensterne anzuheften. Das Bashing der menschlichen Fehlbarkeit können wir loswerden, ohne dass die Firma zum Ponyhof verkommt, in welchem alles erlaubt und nichts geahndet wird. Als Sparringpartner, Coach und Organisationsentwickler unterhalte ich mich gerne mit Ihnen über dieses spannende Thema.