Die Ferienzeit lädt dazu ein und gibt Anlass für kontemplatives Sinnieren über Dinge, die im Alltag oft zu kurz kommen. In diesem Blogbeitrag möchte ich all jenen, die nicht gerne Bücher in den Koffer packen, ein paar Denkanstösse mitgeben. Gedanken, die im Liegestuhl oder an einer verträumten Strandbar mit Blick aufs Meer das Zeug für eine Stärkung des Selfmanagements haben. Sollte es Führungskräfte unter der Leserschaft geben, machen sie diese zudem fit für eine Unternehmenskultur, die zu einem entspannteren und effizienteren Miteinander führt. Sind Sie selbst gar Führungskraft in einem agilen Unternehmen oder in einer Hochzuverlässigkeitsorganisation, haben diese Gedanken allerdings bereits den Charakter einer Pflicht. Ob Sie sich das in den Ferien antun wollen, bleibt selbstverständlich Ihnen überlassen.
Attributionsfehler
Im Zusammenhang mit dem Management von Fehlern kommt dem Attribution Bias eine besondere Bedeutung zu. Er besagt, dass wir die Neigung haben, Fehler anderer ihrer Unfähigkeit zuschreiben und dass wir unsere eigenen Fehler mit den Umständen, unter denen sie entstanden sind, rechtfertigen.
Das Betrachten des Bildes kann uns helfen, der Sache auf die Spur zu kommen. Es kann sein, dass Sie dabei Zweifel an den Fähigkeiten der Strassenmarkierer haben, die diese Arbeit ausgeführt haben. Lassen sie sich dabei nicht von allenfalls hochkommenden empathischen Regungen ablenken. Diese sind wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass der sichtbare Schaden sehr überschaubar ist und dass Sie weder für den Fehler noch für die Qualifizierung der Ausführenden in der Verantwortung stehen. Stellen Sie sich nun trotzdem vor, Sie wären die Führungskraft eben dieser Arbeiter. Das hilft. Stellen Sie sich weiter vor, Sie müssten sie zur Rede stellen. Wie würden sie argumentieren?
Denken Sie kurz nach, bevor Sie weiterlesen.
Was glauben Sie, würden Sie von den Arbeitern in diesem Gespräch zu hören bekommen? Lassen sie mich hier stellvertretend für sie eine mögliche Antwort geben: "Es tut uns leid, dass dieser Fehler passiert ist, es war nie unsere Absicht. Es ist das erste Mal, dass uns etwas so Dummes zugestossen ist. Aber heute waren wir einem besonderen Stress ausgesetzt. Die Disponentin hat es versäumt, uns für die Arbeit den sonst dafür vorgesehenen dritten Mann zuzuteilen. Dann stellten wir erst vor Ort fest, dass die Polizei für die notwendige Verkehrssignalisierung nicht avisiert worden war und wir das nachholen mussten. Last but not least mussten wir bei der Anfahrt noch unser Fahrzeug tanken. Das war nötig, weil die Equipe, die diesen Wagen gestern benutzt hatte, dies entgegen den Gepflogenheiten in unserer Firma, nicht getan hat.
Selfmanagement
Nehmen sie diese Antwort als Turngerät für Ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Fall. Gelingt es Ihnen, sie faktisch zu verstehen? Damit meine ich, genau das zu hören, was die Mitarbeiter gesagt haben? Kann das für Sie glaubhaft sein oder sehen Sie dahinter eher den Versuch einer Ausrede? Wenn ja, warum sollten die Mitarbeitenden ihnen eine Geschichte auftischen, die nicht der Realität entspricht? Das tun sie doch nur, wenn sie befürchten müssen, für ihre unbeabsichtigte Handlungen beschuldigt zu werden. Das wiederum tun sie nur, wenn sie bisher die Erfahrung gemacht haben, dass das in Ihrer Firma der normalen Reaktion auf Fehler entspricht. Da Sie aber in Ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit Arbeitsfehlern konsequent anders reagieren, weil sie Ihren Mitarbeitenden vertrauen können, wird die Antwort der Markierungscrew recht gut mit der Realität übereinstimmen.
Damit haben sie die erste Hürde geschafft.
Und nun kommt die Zweite. Sie ist nicht minder anspruchsvoll. Sehen Sie, dass die Ursachen für das unbeabsichtigt entstandene Resultat auch im Kontext zu finden sind, in welchem die Markierungsarbeiten stattgefunden haben? Fremdbestimmter Zeitdruck. Ressourcenmangel. Können Sie sich vorstellen, dass Sie als vorgesetzte Führungskraft damit Teil der Geschichte werden? Für die systemischen, mitverursachenden Faktoren sind doch Sie zuständig. Wenn sie diese Verantwortung sehen, dann haben Sie die zweite Hürde genommen. Herzliche Gratulation! Sie haben sich soeben erfolgreich gegen den Attribution Bias zur Wehr gesetzt. Es ist Ihnen gelungen, Fehler nicht einfach mit der Unfähigkeit der anderen zu verstehen.
Die dritte Hürde
Gelingt es Ihnen nun noch im Gespräch mit den Arbeitern klarzumachen, dass Sie die Verantwortung für die systemischen Ursachen tragen und Sie Ihres dazu betragen werden, dass sie behoben werden, haben Sie auch die dritte Hürde genommen. Es ist Ihnen gelungen, eigene Fehler nicht mit den Umständen, in denen sie entstanden sind, zu rechtfertigen. Sie haben darauf verzichtet, Ausreden vorzutragen, mit denen Sie versuchen, Ihre Unterlassungen als Führungskraft mit fremdbestimmten Einflüssen zu vertuschen.
Selbstverständlich entbindet Ihre vorbildliche Reflexion die Mitarbeitenden nicht davor, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Es macht hingegen einen riesigen Unterschied, wie sie die übernehmen. Ob sie sich schuldig fühlen und negative Auswirkungen auf ihre Qualifikation hinnehmen, oder ob sie Vorschläge entwickeln, die ihnen helfen, in künftig ähnlichen Situationen nicht wieder den gleichen Fehler zu machen. Gelingt es Ihnen als Führungskraft, solche Beiträge Ihrer Mannschaft wertzuschätzen, dann wäre dies ein Grund, bei Ihnen als Mitarbeiter anzuheuern.
Ein Hauch von Change liegt in der Luft
Die unablässige Auseinandersetzung mit dem Attribution Bias eignet sich hervorragend, um insbesondere als Führungskraft im Alltag fit zu bleiben. Sie ist ein Rezept für die Vertrauensförderung und sie hat das Potenzial, aus Ihrer Firma eine lernende Organisation mit einer Just Culture zu machen. So gerüstet können Sie nach den Ferien Ihre Arbeit wieder mit Zuversicht aufnehmen, denn mit diesen Vorsätzen im Kopf wird sich in Ihrem Umfeld einiges zum Guten bewegen. Man könnte fast sagen, dass sich der Urlaub gelohnt hat.